Gartenfernsehen.de Obstbaum_kalken Teil 1

Gartenfernsehen.de Teil 2

 Anmerkung: Einfacher Streichkalk aus dem Baumarkt geht auch.


 

 

TEXT UND INFO ZUM FILM
Drehort:
Freilichtmuseum Kiekeberg am südlichen Rand von Hamburg
Länge:
5 Min.
Filmkatalog:Praxis
Moderator:
Marc Albano

Das Weißen oder Kalken der Obstbäume hat mehrere gute Gründe:

1. Verzögerte Blüte

Immer wieder schädigen Spätfröste die Blüte verschiedener Obstsorten. Eine beschädigte Blüte bedeutet einen reduzierten Fruchtansatz und Minderertrag bei der Ernte.

Das Risiko der Spätfrostschäden läßt sich reduzieren, indem man die Blüte des Baumes zeitlich etwas verzögert. Eine spätere Blüte im April und Mai hat mehr Chancen, von den Nachzüglern des Winters verschont zu bleiben.

Das Auftragen der weißen Farbe auf den Obstbaumstamm sorgt dafür, daß sich im beginnenden Frühjahr die äußeren Stammschichten nicht so schnell erwärmen. Die Sonne wird reflektiert, also zurückgeworfen, und sie entwickelt weniger Wärme auf und unter der Borke.

Die äußeren Stammschichten sind die sogenannten saftführenden Teile des Baumes. Hier bewegt sich das Wasser und die Energie von der Wurzel in die Krone hinauf. Weniger Wärme in diesem wichtigen Transportbereich bedeutet für den Baum weniger Anreiz zu Aktivität und Bewegung.

In den Monaten Januar bis März bleibt der geweißte Baum etwas kühler, als er es ohne Farbauftrag täte. Entsprechend langsamer wird er seinen Blütenansatz ausbilden. Die Blüte hat mehr Chancen, dem Frost zu entgehen.

2. Schutz vor Frostrissen

Ab Februar beginnt die Sonne schon zunehmend Kraft und Wärme zu entwickeln. Die Lufttemperaturen sind da aber oft noch im Minusbereich. Die Obstbaumstämme mit ihren sensiblen Zonen direkt unterhalb der Borke sind nach kalten Nächten dann noch starr gefroren.

Am Morgen eines sonnigen Tages kann die Sonne auf den Stamm scheinen und diesen - dank seiner dunklen, sonnenaufsaugenden Farbe - allmählich stark erwärmen. Weil die Umgebung des Obstbaums im Winter unbelaubt ist, trifft die Sonne noch stärker auf den Stamm als im Sommer.

Durch die rasche Erwärmung von der Stammoberseite her dehnt sich die Borke außen stärker aus, als es die unterliegenden, noch gefrorenen Schichten tun. Das führt zum Aufplatzen der äußeren Rinde, den sogenannten Frostrissen.

Diese Risse verlaufen meist senkrecht über den Stamm und könnten mehrere Zentimeter bis über eine Handspanne lang sein. Im ersten Jahr bleiben sie noch dünn und unauffällig. Aber weil die Rinde hier nicht mehr zusammenwächst, wird sich der Riss mit zunehmendem Dickenwachstum des Baumstamms in den Folgejahren weiten und vergrößern.

Damit ist dem Baum ein dauerhafter, irreparabler Schaden entstanden. Der Baum kann und wird weiterleben, er wird die Wunde teilweise mit Rindenwachstum überwallen. Und doch ist hier der sensible Transportbereich des Baums gestört und behindert. Und es ist ein permanentes Einfallstor für Schädlinge und (Pilz-) Krankheiten geschaffen.

Gerade junge Bäume mit noch zarter, glatter Rinde sind für diese Frostschäden besonders empfindlich. Junge Äpfel und Birnen sollten daher immer mit Kalkauftrag geschützt werden. Aber auch Kirschen mit ihrer allgemein glatteren Rindenstruktur sind für lebenslangen (!) Kalkfarbschutz dankbar.

3. Schädlingsbekämpfung

Schädlinge fallen beim Obstbaumweißen gleich zwei Maßnahmen zum Opfer. Erstens werden sie schon bei der Vorbereitung des Farbanstrichs ihrer Verstecke auf dem Stamm beraubt. Vor dem Weißen wird der Baum bekanntlich mittels Baumkratzer, Spachtel oder Drahtbürste bearbeitet. Dabei entfernt man alle losen und lockeren Teile der Borke.

Unter diesen Teilen haben sich im Herbst Baumschädlinge zur Überwinterung einquartiert. Auch in Moosen und Flechten auf der Stammoberfläche sind beliebte Winterquartiere. Durch das Entfernen aller dieser weichen und losen Teile vom Stamm bleibt Käfern, Bohrern, Würmern, Pilzen und anderen Aggressoren keine Behausung mehr am Baum.

Freilich müssen auch Nützlinge weichen, wie die von Herrn Schuh genannten Ohrenkneifer und Marienkäfer. Auch sie überwintern gern unter loser Borke. Aber mit etwas Glück finden sie nach der gewaltsamen Auflösung ihrer Behausung noch Unterschlupf im Bodenbereich um den Baum herum.

Dann kommt der Angriff durch den Farbauftrag und die ätzende Wirkung des Kalkes. Damit wird auch die möglicherweise noch verbliebene Brut der Schädlinge am Baum vernichtet. Sorgfalt beim Verstreichen der Kalkfarbe bis in die letzten Ritzen und Fugen der Borke hinein ist entsprechend angeraten.

Bei manchen speziellen Baumanstrichen werden noch eigens Schädlingsbekämpfungsmittel wie Fungizide mit hineingemischt. Gerade beim Steinobst wie Pflaumen und Zwetschgen mit bekannter Anfälligkeit für sgn. Pseudomonaden werden entsprechende Mischungen im professionellen Obstanbau verwendet.

4. Verbißschutz

Ein Kalkanstrich wird traditionell auf Bauernhöfen auch eingesetzt, um die Tiere des Hofes vom Anknabbern der Baumrinde abzuhalten. Kühe, Ziegen und sogar Gänse können ungeschützte Bäume so stark schädigen, daß sie eingehen.

5. Gartenästhetik

Weiße Baumstämme - eine Zierde? Wir finden durchaus! Der winterliche Garten hat ja sonst nicht viel zu bieten, an dem sich das Auge festhalten wollte. Da kann das strahlende Weiß des Kalkanstrichs gut für etwas visuelle Struktur und Lebendigkeit im Gartenbild sorgen.

Vor allem kommuniziert der Baumanstrich aber etwas vom Geist des Gartens. Er signalisiert, daß sich hier jemand um die Gartenbewohner aktiv sorgt und kümmert, daß Pflanzen geachtet und geschützt werden, daß man hier intensiv mit der Natur und mit den Jahreszeiten lebt. Eine schöne Botschaft - die sich mit den Augen liest!

Etwas weniger schön freilich wird es im Frühjahr und Sommer, wenn der vorjährige Kalkanstrich langsam verwittert und abplatzt. Dann verliert sich die Ästhetik der Baumstämme irgendwo auf halbem Wege zwischen Kultur und Natur - bis es im Herbst aber mit einem aufgefrischten Anstrich wieder weitergeht.

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Es gibt zahlreiche Vorteile des Kalkanstrichs also. Wie verhält sich dagegen der Aufwand?

Werkzeug und Farbe

Zum Abkratzen der Borke wird ein Baumkratzer empfohlen. Alternativ können auch ein Spachtel oder eine Drahtbürste eingesetzt werden - mit diesen hat man aber deutlich mehr Arbeitsaufwand.

Das Auftragen der Farbe geschieht mit einem langen Heizkörperpinsel.

Die Sumpfkalkfarbe der Firma Kreideweiß Naturfarben GmbH ist eigentlich für Innenräume gedacht - zum Beispiel, um einen Kuhstall oder Keller weiß zu tünchen. Da es sich aber um ein reines Naturprodukt handelt, kann es auch im Obstgarten eingesetzt werden - als moderne Fortsetzung einer alten Tradition.

Es sind viele Rezepte für Eigenmischungen unterwegs - meist mit Kalk als Basis, gelegentlich mit orginellen Zusätzen wie etwa Kuhdung (wohl als schädlingsbekämpfende Substanz).

Mischungen, die dagegen eher auf Lehmbasis erstellt werden, können nie jenen Vorteil der kräftig weißen Farbe bewirken, die bekanntlich am besten vor Frostschäden schützt. Hier reduziert sich der Baumschutz also eher auf die Schädlingsbekämpfung.

Baumanstriche, die der professionelle Obstbau einsetzt, werden vor allem für ihre lang anhaltende Haftung an der Borke ausgewählt. Damit erspart man Arbeitsaufwand und Kosten. Nach einer Untersuchung der Hochschule Weihenstephan etwa haftet die Stammschutzfarbe Arboflex 3-5 Jahre am Baum!

http://www.hswt.de/fgw/infodienst/2008/juni/forschung-aktuell.html

(Staatliche Forschungsanstalt für Gartenbau Weihenstephan, Infodienst, 2008, Juni, Forschung aktuell)

Zeitpunkt und Arbeitsweise

Das Weißen nimmt man am besten vor Einbruch des Winters vor. Benötigt wird der Stammschutz erst vor allem im Februar und März - wenn die Fröste noch eisig sind, die Sonne aber schon etwas wärmende Kraft hat.

Jedoch ist ein Baumanstrich zu einem späteren Zeitpunkt, also im Dezember oder Januar, aus praktischen Gründen meist nicht möglich. Entweder ist es dann zu kalt oder zu nass. Gestrichen werden kann nur bei Plusgraden und auf einen trockenen Stamm. Im richtigen Winter aber trocknen Baumstämme nur ganz selten noch gründlich aus.

Daher streicht man so früh wie nötig und so spät wie möglich. Je später, desto mehr Farbe wird noch am Baum haften, wenn er es am meisten nötig hat. Denn die Kalkfarbe löst sich allmählich, wird abgewaschen, blättert herunter. Wenn man erst im November streicht, hat man daher beste Aussichten, auch noch im Februar und März einen vollen Farbschutz am Stamm zu haben. Streicht man schon im Oktober, könnte die Farbe bis zum Frühjahr schon etwas nachlassen.

Daher paßt man am besten eine trockene Periode zum Ende Oktober oder im November ab.

Die Vorbereitung des Anstrichs ist sowohl das Abkratzen der lockeren Borke als auch das Freilegen der Baumscheibe. Damit ist ein runder Bereich um den Stamm gemeint, in dem der Boden (am besten ganzjährig!) offen und ohne Bewuchs gehalten wird. Dort kann der Baum dann ungehindert Nährstoffe und Wasser zugeführt bekommen.

Man legt die Baumscheibe hier frei, damit man auch an den untersten Teil des Stammes mit der Farbe herankommt. Denn gerade am untersten Ansatz bilden sich immer Moose und Ablagerungen, die die Schädlinge zum Überwintern an den Baum ziehen.

Vor allem Moose also sollten vor dem Anstrich überall am Stamm entfernt werden, auch weiter oben in den Achseln der größeren Äste (mit dem Baumkratzer am langen Stiel kommt man hier besser hin als mit einem kurzen Spachtel!).

Auch alle losen und lockeren Rindenteile kratzt man vom Baum ab. Dabei ist ein Kompromiß zu erfühlen zwischen der leichten und der schwereren Verletzung der Baumhaut. Leichte Verletzungen wirken anregend auf den Baum, er wird sie mit neuer Zellenbildung überwachsen und heilen. Die Zellenbildung begünstigt dann den künftigen Saftstrom von Wurzel zur Krone.

Schwerere Verletzungen sind ungünstig. Um dem Baum solche zuzufügen, müßte man schon spürbare Gewalt in das Kratzen hineinbringen, vor allem wenn man mit dem Eisengerät absichtlich in einzelne Rindenspalten hineinstößt und diese dann aufbricht.

Wer einen älteren Baum zum ersten Mal bearbeitet, sollte daher das Kratzen womöglich in den ersten Jahren schonend aufbauen und sich eher graduell an einen glatten Stamm heranarbeiten. Denn mit regelmäßiger Baumbehandlung wird die Stammoberfläche von Jahr zu Jahr glatter und leichter zu bearbeiten.

Man kann das Kratzen und Anstreichen bis zu einer beliebigen Höhe ansetzen. Bei Hochstämmen (1,80 m - 2,00 m Stammhöhe, siehe auch unseren Film zum Thema) wählt man in der Regel den Veredelungsansatz als oberen Abschluß. Aber man kann auch weiter hinauf gehen, wenn man möchte. Der Aufwand wird dann gleich deutlich größer (Leiter!).

Das Auftragen der Farbe geschieht am besten mit viel Zeit und Ruhe. Denn man sollte die Farbe zum Zweck der Schädlingsbekämpfung so vollständig auftragen, daß sie auch in allen Fugen und Ritzen der Borke eindringt. Das verlangt viel Pinselbewegung.

Eine (ungünstige) Alternative

Wer sich die Arbeit des Kalkanstrichs sparen möchte, könnte versucht sein, den Baum einfach mit herumgestellten Schilfrohr- oder Strohmatten vor Sonnenstrahlen zu schützen. Diese Empfehlung wird öfters gegeben.

Jedoch wird man so lediglich dem Problem der Frostrisse vorbeugen. Die weiteren Vorteile des Weißens kommen nicht zur Geltung. Gerade die Schädlingsbekämpfung wird zu ihrem Gegenteil - einer Schädlingsbegünstigung. Denn die witterungsschützenden Matten kommen der Überwinterung von Schadvolk noch hilfreich entgegen.

Ein Vorbild in der Natur

Das Schutzprinzip eines weißen und glatten Stammes kann man auch bei der Birke finden. Als Bewohner von besonders kahlen, kalten und exponierten Regionen (Steppe, Gebirge, Tundra) mag die Birke ihre Rindenfarbe gerade aus den genannten Gründen des Schutzes vor Frostschäden entwickelt haben.

Wer weiße Birken mag: am weißesten ist übrigens die Himalaya-Birke, im Handel am häufigsten in der Sorte Betula utilis var. jacquemontii 'Doorenbos' zu finden.

 

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